Folgt unsherz.erzgebirge

Im Gespräch mit Steven Leupold anlässlich des Internationalen Tages der Toleranz. Er erzählt uns, wie er sich als bisexueller Mensch in der heutigen Gesellschaft fühlt, was sich in der Wahrnehmung der Gesellschaft verändert hat und welche Bedeutung Toleranz für ihn hat.

 

FAMILIEN H(erz): Ob schwul, lesbisch oder hetero. Diversität in der sexuellen Orientierung ist ganz normal, sollte man zumindest im 21. Jahrhundert denken. Nehmen das die meisten Menschen deiner Meinung nach auch so wahr?

Steven Leupold: Ich denke, die Wahrnehmung der Leute hat sich schon verändert im Vergleich zu früher. Gerade junge Menschen wachsen viel offener mit dem Thema auf. Bei mir in der Schule war es – dabei bin ich noch gar nicht so alt – schwierig sich zu outen. Wenn man sich da gerade in der Selbstfindung befindet und dann Anfeindungen kommen, ist es schwer, offen mit dem Thema umzugehen. Heute höre ich öfter das Jugendliche schon in der Schule offen damit umgegangen sind und das ohne Probleme. Ich habe aber auch festgestellt, dass die aktuellen älteren Generationen das oftmals nicht verstehen. Viele wissen aber auch einfach nicht wie viele ungeoutete Bisexuelle es beispielsweise gibt. Vor ein paar Wochen waren wir mit einem Freund in Frankreich und haben dort einen Bekannten besucht. Dabei kamen wir auf das Thema, dass viele Queere immer noch denken sie werden beobachtet, wenn Sie händchenhaltend durch die Stadt gehen und wie Ausgestoßene angeschaut. Wir haben das Ganze einmal die kompletten 3 Tage beobachtet. Tja, was soll ich sagen. Es hat keinen Interessiert.

 

Was denkst du, warum fällt der Schritt, sich zu outen, vielen immer noch so schwer und wie hast du ihn für dich selbst empfunden?

Viele denken immer noch, dass es ein großer Wandel in ihrem Leben ist, wenn sie sich outen und haben daher Angst wie es danach sein wird. Ganz ehrlich? Ich finde das Thema Outing an sich total überspitzt. Danach ist man auch kein anderer Mensch. Man glaubt gar nicht, wie wenige Leute es wirklich interessiert, wen man liebt. Ob das nun ein Mann oder eine Frau ist, spielt doch keine Rolle. Ich selbst bin Bisexuell und habe mir Jahrelang sinnlos Gedanken gemacht ob ich jetzt mit einer Frau oder einem Mann zusammen sein will. Irgendwann kam der Punkt an dem ich gemerkt hab, dass es keine Rolle spielt. Da hab ich einfach angefangen offen damit umzugehen und auch so zu leben. Ich bin deswegen nicht zu jedem Bekannten gerannt und hab mich geoutet. Klar redet man mit der Familie und vereinzelt darüber. Oft hab ich aber einfach im allgemeinen Gespräch über einen Mann gesprochen und wenn es jemanden interessiert hat, kamen Rückfragen. Im Ganzen lief mein Outing halt so nebenher und war nicht Mittelpunkt meines Lebens.

 

Du warst mit einer Frau verheiratet? An welchem Punkt hast du für dich selbst gemerkt, es geht nicht mehr?

Die Frage kann ich ganz schlicht beantworten. Diesen Punkt gab es nicht, da meine Sexualität nicht das ausschlaggebende für die Trennung war.

 

Hast du Angst, dass dein Kind später wegen deiner sexuellen Orientierung angefeindet wird?

Nein, nicht wirklich. Ich meine, wenn die Deutschen jetzt nicht auf die Idee kommen, verstaubte intolerante Religionen wie in Polen an die Macht zu bringen, wird Sie hier friedlich groß werden können. Außerdem wächst sie offen mit dem Thema auf und wird lernen, dass man solche Dummbatze einfach ignorieren sollte.

 

Laut einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes habe sich die Akzeptanz gegenüber Homosexuellen in der Bevölkerung verbessert? Was sind deine Wahrnehmungen?

Der Wandel kommt mit der Zeit, junge Menschen wachsen ganz anders auf als früher. Die Generationen wechseln durch und damit steigt auch die Akzeptanz in der breiten Masse. Meine Großeltern z.B. verstehen das ganze Thema nicht. In 20 Jahren wird das ganz anders aussehen. Ich selbst stelle fest, dass es viel breiter in der Öffentlichkeit vertreten ist und dadurch viele Menschen den Mut haben, zu sich zu stehen. Was ich sehr schön finde.

 

Was glaubst du, warum es für einige Menschen nachwievor unangenehm ist, homosexuelle Pärchen in der Öffentlichkeit zu sehen?

Ich kenne Männer und Frauen, die finden es eklig, wenn andere Gleichgeschlechtliche sich küssen, haben an sich aber nichts gegen Homosexuelle. Das sind super nette Leute, aber sie können es halt einfach nicht ersehen. Ich habe keine Ahnung woher das kommt. Ich hoffe, dass es sich im Laufe der Zeit gibt. Bisher habe ich das Ganze aber auch nicht als Problem wahrgenommen. Es gibt auch genügend Heteropaare bei denen ich lieber nicht sehen möchte wie sie sich in der Öffentlichkeit küssen.

 

Fühlst du dich in deiner sexuellen Orientierung gesellschaftlich/politisch benachteiligt?

Diskriminiert nicht, aber es gibt immer noch Bereiche, in denen die Gleichberechtigung auf sich warten lässt. Gerade wenn es um Kinder und Adoption geht, gibt es immer noch einige sinnlose Hürden, die endlich abgebaut werden müssen. Es gibt so viele Berichte darüber, wie schwer es manche haben, als Elternteil anerkannt zu werden. Das ärgert mich total, wie dem Glück von Müttern und Vätern da im Weg gestanden wird.

 

Wie stehst du zum Thema Gendern in der Sprache, fühlst du dich deswegen gleichberechtigt bzw. hat sich dadurch etwas in der Wahrnehmung der Menschen in deinem Alltag verändert?

Gendern ist für mich das Unwort des Jahrzehnts und dabei haben wir gerade mal 2021. Gleichberechtigung ist wichtig, genauso wie die Weiterentwicklung einer Sprache. Dieses ganze Thema wird meiner Meinung nach viel zu hoch gepusht, es ist ein Aufhänger, an dem viele sich festmachen. Es wird mittlerweile nicht gegendert, damit jeder sich angesprochen fühlen kann. Sondern weil man Angst hat das sofort Anfeindungen kommen, weil jemand sich eben nicht direkt angesprochen fühlt. Da branden Diskussionen hoch, die ich einfach nicht nachvollziehen kann. Ich selbst gendere nicht. Wenn ich zum Arzt gehe, dann gehe ich zum Arzt, auch wenn dieser weiblich ist.

 

Was bedeutet für dich „Toleranz“ und was wünscht du dir dahingehend für die Zukunft?

Leben und leben lassen… Man wird nie die 100-prozentige Toleranz erreichen, weil es immer Dinge gibt, die man selbst ganz anders Wahrnimmt und begreift. Da schließe ich mich selbst nicht aus und dabei ist es egal, ob es um Politik, Sexualität der Geschmack geht. Jeder möchte ja genauso akzeptiert werden wie er oder sie ist. Eigentlich wollte ich dieses Interview auch anonym geben. Beim Beantworten der Fragen, ist mir aber wieder klar geworden, dass das eigentlich dem, was ich selbst möchte widerspricht. Daher habe ich mich dazu entschieden es nicht anonym zu machen. Für die Zukunft? Dass Religionen endlich anfangen offen für das Leben zu sein und nicht weiter in Ihrer verstaubten Blase zu leben. Dabei sage ich ganz bewusst „Religionen“ und nicht „Glaube“. Meiner Meinung nach ist das eines der größten Probleme um mehr Toleranz zu erreichen. In dem Thema könnte ich mich jetzt festbeißen, da ich beruflich auch viel in diesen Bereichen zu tun habe und oftmals nur den Kopf schütteln kann.

 

Bis wohin sollte man deiner Meinung nach tolerant gegenüber einer Intoleranz sein?

Wenn aus Intoleranz Anfeindung wird, ist der Punkt definitiv überschritten. Ich selbst habe auch einen Bekannten, der mit dem Thema Homosexualität offensichtlich ein Problem hat. Bevor es bekannt war, dass ich mit einem Mann zusammen bin, gab es keine Probleme. Später hat es immer wieder Spitzen von ihm gegeben. Solche Menschen wie er sind einfach dumm, da kann man machen was man will. Wo nix vorhanden ist, kann man auch nichts ändern. Man rennt nur gegen verschlossene Tore und ärgert sich noch mehr. Zu solchen Leuten kann man nur den Kontakt beenden und einfach getrennte Wege gehen. Ein Freund von mir hat das Problem leider in der Familie, wir haben uns viel darüber unterhalten. Am Ende kann man nur hoffen, dass der gesunde Menschenverstand doch überwiegt.

Titelbild von Mego-studio | stock.adobe.com